Willkommen in Berlin, der Hauptstadt des deutschen Raps!

Diese Stadt hat unzählige spannende Rap-Artists hervorgebracht. Von Kool Savas bis Juju, von Bushido bis Pashanim sie alle sind in Berlin aufgewachsen. Aber seht selbst:

Kommt mit auf einen Streifzug durch Rap-Berlin und erfahrt, was ein Sightseeing-Bus mit den Anfängen von Deutschrap zu tun hat, wie aus ein paar handgeschriebenen Reimen ein Millionenbusiness wurde und wo das Herz von Berliner Deutschrap schlägt.

Das ist die Geschichte der Berliner Rapublik.

Was als legendäre Geburtsstätte von Deutschrap in Berlin gilt, ist heute ein Puff. 1997 gründete Markus Staiger in der Mittenwalder Straße in Kreuzberg den Royal Bunker: ein Freestyle-Café, in dem sich spätere Stars wie Kool Savas oder Sido am Mikro ausprobierten.

Jeden Sonntagabend trafen sich in dem kleinen Kellerraum dutzende Jugendliche zum Abhängen, Musik hören - und Rappen. Angeheizt wurden sie dabei von Marcus Staiger.

Der Eingang zum ehemaligen Freestyle-Café in der Mittenwalder Straße in Kreuzberg.

Der Eingang zum ehemaligen Freestyle-Café in der Mittenwalder Straße in Kreuzberg.

Staiger, wie ihn alle nennen, organisierte die Sonntagabende im Royal Bunker und musste die Jungs und Mädels oft noch motivieren, sich nach vorne zu trauen und loszurappen. Doch sobald sich der Erste einmal getraut hatte, fielen auch bei den anderen die Hemmungen. Dann hieß es: Ab ans Mic, losbattlen!

Fotos und Audio-Mitschnitt aus dem Royal Bunker 1997. (Die Soundtechnik aus dem Touristenbus ließ noch zu Wünschen übrig...)

Einer, der damals, 1997, mit im Bunker auf der Bühne stand und seine Texte vortrug, ist Jack Orsen. Aufgewachsen am Halleschen Tor, fing er in den 1990ern an, sich für Rap zu begeistern und wurde später Mitglied der legendären Masters of Rap (M.O.R.) um Kool Savas.

„Hier standen wir davor bis dann irgendwann mal Staiger kam mit dem Mikrofon”, erzählt Jack Orsen, während er vor dem Bordell steht. Marcus Staiger verdiente sein Geld nämlich als Touristenführer. Das Mikrofon, über das er tagsüber den Berlin-Gästen im Bus die Berliner Sehenswürdigkeiten erklärte, zweckentfremdete er dann kurzerhand für die Freestyle-Sessions.

Dann sind wir runter und haben dann die Texte präsentiert, die wir die Woche vorher geschrieben haben. Manche haben vom Blatt abgelesen, manche haben das schon auswendig gekonnt, manche haben auch nur gefreestylt.”
- Jack Orsen 

Jack Orsen läuft durch seine Heimat Kreuzberg. Zu jeder Straßenecke fällt ihm eine Story ein.

Jack Orsen läuft durch seine Heimat Kreuzberg. Zu jeder Straßenecke fällt ihm eine Story ein.

Letztere produzierten statt ungelenker Freestyle-Sessions jetzt im neuen Royal Bunker im Wrangelkiez Songs und schicken erste Tapes durch die Republik. Jack Orsen fängt im Bunker eine Ausbildung an und geht mit seinem Kumpel Kool Savas auf Tour. Bei dem habe man schon früh gemerkt, dass er besser sei als alle anderen, sagt Jack Orsen. 

Bis Mitte der 1990er-Jahre rappten Artists aus Berlin vor allem auf Englisch oder Türkisch. Jack Orsen eiferte zunächst auch seinen amerikanischen Hip-Hop-Idolen nach, bevor er anfing, erste Texte auf Deutsch zu verfassen. Der Royal Bunker war ein Ort, wo er sich ausprobieren konnte, sagt Jack Orsen heute. 

1998 hatte das Freestyle-Café bereits ausgedient: Die jungen Rap-Talente wurden immer besser – und begehrter. So machte Staiger aus dem Jugendtreff ein Musiklabel: Das Label „Royal Bunker” fand im Wrangelkiez ein neues Zuhause. 

Auf dem Spaziergang dorthin erzählt Jack Orsen, wie die überschaubare Berliner Rap-Szene früher aussah: „Man kannte sich vom Sehen, man kannte sich vom Weggehen. Du hast in den Neunzigern erkannt, aufgrund der Art und Weise wie man sich gekleidet hat, was derjenige für Musik hört. Es gab dann so Hip-Hop-Partys, da hat man oft dieselben hundert Leute gesehen.”

Rap war damals nur ein Hip-Hop-Element von mehreren: Auf den Partys trafen sich Breakdancer, Graffiti-Sprüher und Rapper. 

Jack Orsen von den ehemaligen Räumen des Royal Bunker Labels. Hier hat er Anfang der 2000er so gut wie jeden Tag verbracht.

Jack Orsen von den ehemaligen Räumen des Royal Bunker Labels. Hier hat er Anfang der 2000er so gut wie jeden Tag verbracht.

Jack Orsen und die Masters of Rap machen damals Battle-Rap. Beim Battle-Rap beleidigen die MCs freudig drauf los, oft mit krass homophoben und sexistischen Lines. Deren Ziel: Rapper aus Westdeutschland, die „man halt einfach whack fand”. 

Jack Orsen auf M.O.R. - Fremd im eigenen LAND II (2001) 

Jack Orsen auf M.O.R. - Fremd im eigenen LAND II (2001) 

Außerdem strotzen die Tracks auf dem 2001er M.O.R.-Album NLP vor Gangsta-Lines. Die Berliner hatten damals in der Rap-Szene einen berüchtigten Ruf. Jack Orsen erinnert sich an eine Hip-Hop-Jam in Braunschweig: „In Westdeutschland waren das die Berliner, die haben zusammengehalten. Die haben Rabatz gemacht, haben Scheiben eingeschlagen und Eintritt verlangt und sowas.” Diesen Ruf machen sich M.O.R. zu Nutze, etwa wenn der Zehlendorfer Fumanschu über „Messerstress” in Berlin rappt. 

Fumanschu auf M.O.R. - Bei mir (2001) 

Fumanschu auf M.O.R. - Bei mir (2001) 

„Ernst genommen haben wir das natürlich nie”, sagt Jack Orsen, aber: „Der Hörer, der uns zu der Zeit gar nicht kannte, der hat sich dann gedacht: Alter krass, in Berlin, was geht denn da ab?!‘” 

In Berlin geht im Jahr 2001 eine ganze Menge ab: Kool Savas steigt zum ersten Mal mit einer EP in die deutschen Charts ein. Gleichzeitig gründen drei Berliner Hip-Hopper das Musiklabel Aggro Berlin.

Aggro Berlin nimmt mit Sido und B-Tight zwei Rapper aus dem Märkischen Viertel im Berliner Norden unter Vertrag, außerdem einen jungen Künstler namens Bushido aus Tempelhof.

Die „Aggro Ansage”-EPs und die Soloalben von Bushido und Sido treten mit ihren aggressiven Texten und ihrer cleveren Inszenierung eine Deutschrap-Welle los. Auf den Straßen Berlins oder kleinstädtischen Schulhöfen führt kein Weg mehr an dem Schöneberger Label vorbei.

Zu dieser Zeit kommt wie so viele auch Alex Barbian zum ersten Mal mit deutschem Rap in Kontakt. Der renommierte Rap-Journalist geht damals noch zur Schule und erinnert sich: „[Aggro] Ansage Nr. 2 war das erste, was ich gehört habe oder was man auf dem Schulhof irgendwie so zugeschoben bekommen hat, und ja klar: Sido - „Mein Block” und so.”

Sido - Mein Block (2004)

Sido - Mein Block (2004)

Nach der Schule zieht Alex Barbian dann mitten ins Rap-Geschehen nach Berlin. 2013 ist das und Aggro Berlin gibt es inzwischen nicht mehr. Irgendwann waren die asozialen Gewaltorgien schlicht auserzählt und die Zeiten haben sich geändert: Reihenweise Beef und Skandale, Sinnkrisen und nicht zuletzt das Internet haben ihre Spuren in Berlins Deutschrap-Landschaft hinterlassen. 

Dafür haben sich viele ganz unterschiedliche Rap-Szenen in der Hauptstadt gebildet: Alex Barbian besucht Cypher Sessions im Yaam, linksalternative Rap-Konzerte im Köpi-Keller und die Rap-am-Mittwoch-Battles im BiNuu. Er erkennt aus nächster Nähe: „Die Rap-Szene verändert sich immer sehr schnell.” Am deutlichsten wird diese Veränderung für ihn mit dem Bedeutungsverlust vom Rap am Mittwoch: „In dem Moment, wo Rap am Mittwoch egaler wurde, war Rap einfach kein Nischending mehr, sondern endgültig big.”

Rap-Journalist Alex Barbian schreibt unter anderem für rap.de oder die ZEIT und moderiert bei MTV Germany oder für das splash! Festival.

Rap-Journalist Alex Barbian schreibt unter anderem für rap.de oder die ZEIT und moderiert bei MTV Germany oder für das splash! Festival.

Die Kommerzialisierung von Deutschrap ist nun in vollem Gange. Statt bei Independent-Labels wie Aggro Berlin oder Royal Bunker veröffentlichen Rapper ihre Musik bei Big Playern wie Universal, Sony oder Warner Music. Die Tracks kommen nicht mehr aus dem Freestyle-Keller, sondern aus Bürogebäuden mit Glasfassaden. 

Aber: Die Musik wird in dieser Zeit hörbarer, findet Tobias Wilinski. Er ist Musikindustrie-Podcaster und ehemaliger Leiter der Raptexte-Plattform Genius in Deutschland. Er heißt es gut, dass Deutschrap inzwischen musikalischer, freier und feierbarer geworden ist.

Tobias Wilinski spricht in seinem Podcast „TALK THIS WAY” mit Patrick Thiede von Universal Music und Gästen über das Rap-Business.

Tobias Wilinski spricht in seinem Podcast „TALK THIS WAY” mit Patrick Thiede von Universal Music und Gästen über das Rap-Business.

So ist Deutschrap durch Künstler wie Casper, Materia oder Cro Anfang der 2010er-Jahre im Mainstream angekommen. 2001 machte Hip-Hop-Musik (nicht nur Deutschrap) nur 1,5 Prozent des Gesamtumsatzes auf dem deutschen Musikmarkt aus, so der Deutsche Musikrat. Zwanzig Jahre später, steht Hip-Hop mit 19,4 Prozent an zweiter Stelle hinter Popmusik. 

Authentischer Berliner Straßenrap hat in diesem millionenschweren Business kaum noch Platz. Tobias Wilinski sagt: „[Heute ist es] natürlich viel einfacher, aus Buxtehude erfolgreich zu sein. Berlin ist jetzt nicht mehr so eine Künstler-Fabrik, nicht mehr so dieses eine Ding. Du kannst irgendwo herkommen, ziehst nach Berlin und wirst dann irgendwie selbst so ein bisschen Berliner.” 

Deutscher Rap ist also wie Berlin: größtenteils gentrifiziert. „Die Fluktuation ist hoch”, sagt Rap-Journalist Alex Barbian, „seit ich aktiv dabei bin [...] haben sich die Orte, an denen ich mich bewegt habe, total häufig verändert. Das liegt daran, dass sich die Szene so schnell wandelt und die Stadt eben auch noch parallel dazu.” 

Heiß, heißer, Kreuzberg. Diese Deutschrap-Heatmap von Berlin zeigt: Kein anderer Stadtteil atmet Deutschrap so sehr wie Kreuzberg.

Für die Karte wurden viele sehr unterschiedliche Deutschrap-Orte in Berlin gesammelt: Studios oder Referenzen aus Songs zum Beispiel. Ein paar ausgewählte Locations werden gleich noch vorgestellt.

Auf den ersten Blick ist zu erkennen: Einige Berliner Stadtteile sind nahezu weiße (beziehungsweise gelbe) Flecken auf der Deutschrap-Karte. In Köpenick (ganz im Südosten), Pankow (im Nordosten) oder Wannsee (im Südwesten) hat man mit Rap nicht viel am Hut.

Ganz anders dagegen Neukölln, Wedding, Schöneberg und Kreuzberg. Aber fangen wir von vorne an...

Märkisches Viertel

Im „MV” wachsen die Aggro Berlin Mitglieder B-Tight und Sido auf. Letzterer widmet der Gegend einen seiner größten Hits: „Mein Block”

Sido mit Totenkopfmaske im Video zu „Mein Block”. (Screenshot: HITBOX auf youtube.de)

Sido mit Totenkopfmaske im Video zu „Mein Block”. (Screenshot: HITBOX auf youtube.de)

Hier wird Deutschrap aus Berlin erwachsen

Im Hip-Hop-Haus in Steglitz oder in der Naunynritze in Kreuzberg treffen sich in den 90ern jugendliche Hip-Hop-Fans, die später auch im Royal Bunker Freestyle-Café auftauchen. Aus dem wird um 2000 ein eigenes Label.
Noch erfolgreicher sind Anfang der 2000er aber die Veröffentlichungen aus dem Büro von Aggro Berlin nahe der Yorckstraße.

Dosen & Dances: Hip-Hop-Kulturstätten in Berlin

In der Flying Steps Academy kann man seit Jahrzehnten Breakdance-Moves lernen und sich fast genauso lange mit neuen Sprühdosen bei OVERKILL ausrüsten.
Mit dem BiNuu (inzwischen geschlossen) und anderen Clubs hat die Berliner Partyszene auch für Rap-Fans einiges zu bieten.
Von 1997 bis 2019 berichtete die Redaktion des JUICE Magazins über alles, was im deutschen Rap vor sich ging.

Aus der Hood für die Hood

Ob die Sonnenallee, der Nettelbeckplatz im Wedding oder das Kottbusser Tor: Immer wieder finden sich Referenzen an bestimmte Orte in Rap-Songs wieder.
Gerade in den letzten Jahren liegen Hood-Bezüge wieder stark im Trend: Der Newcomer Pashanim markiert sein Revier rund um den Mehringdamm und wer Eisenacher Straße sagt, muss in Sachen Rap auch BHZ sagen.

Die Jungs der Rap-Crew BHZ beim Videodreh vor der „Church”, der Apostel-Paulus-Kirche in Schöneberg. (Screenshot: BHZ auf youtube.de)

Die Jungs der Rap-Crew BHZ beim Videodreh vor der „Church”, der Apostel-Paulus-Kirche in Schöneberg. (Screenshot: BHZ auf youtube.de)

Kunst & Kommerz

Die großen Musiklabels Universal, Sony Music und Warner Music sind inzwischen alle mit Dependancen in Berlin vertreten.

Maciej Ruminkiewicz/Unsplash

Maciej Ruminkiewicz/Unsplash

Ob Labels, Graffiti-Läden, Freestyle-Bunker oder schlicht Places-to-be: In Kreuzberg schlägt Berlins Deutschrap Herz von den Anfangstagen bis heute. Warum?

Rap-Journalist Alex Barbian sagt: „Ich bin mir relativ sicher, dass nach wie vor Kreuzberg ein wichtiger Ort ist, einfach weil die Studios sich dort ballen, weil es historisch ein Künstlerviertel ist, weil es für Graffiti ein wichtiger Ort ist und einfach relevant für alle Disteln im Beton.” 

Bleibt Berlin auch zukünftig so ein heißes Pflaster in Sachen Deutschrap? Alex Barbian glaubt: „Rap ist auf dem kommerziellen Peak angekommen und geht jetzt Step by Step wieder mehr Richtung Nische.”

Damit Berlin seinen Hauptstadt-Status behalten könne, müssten dort wieder mehr Begegnungsorte abseits des Internets geschaffen werden, sagt er.

Wir lauschen also gespannt, an welchen Orten in der Stadt welche Artists die Geschichte der Berliner Rapublik fortschreiben.